Ich bin Elena Bauer, 19 Jahre alt und möchte hier gerne über meine Zeit in der Wohngruppe „Papillon“ im Frère-Roger-Kinderzentrum Augsburg schreiben. Ich bin im September 2015, kurz nachdem ich 18 Jahre alt wurde, von Baden-Württemberg hierher gezogen. Nach der Verselbstständigung bin ich im September dieses Jahres für ein Jahr nach Ecuador gegangen.
Anfangs war es für mich sehr schwer, in der Wohngruppe anzukommen. Ich war sehr weit von zuhause entfernt, hatte Heimweh und wollte eigentlich auch gar nicht so richtig in die Wohngruppe ziehen. Ich dachte, ich muss die Essstörung alleine bewältigen. Doch dass ich das nicht kann, hatte sich die Jahre zuvor immer wieder herausgestellt. Ich habe seit meinem 15. Lebensjahr Magersucht und war deshalb auch mehrmals in einer Klinik. Während dieser Aufenthalte habe ich viel dazugelernt und ich hatte auch theoretisch eine Ahnung davon, wie man die Magersucht bewältigen könnte. Aber sobald ich zuhause war, fiel es mir unheimlich schwer, das in der Klinik Gelernte in meinem Alltag zu integrieren.
Die Entscheidung für den Einzug in die Wohngruppe Papillon war für mich ein großer Schritt. Doch im Nachhinein weiß ich, dass die Gruppe definitiv die Richtige war. Ohne die Wohngruppe wäre ich niemals dort, wo ich jetzt bin. Ich habe eingesehen, dass Gesundwerden nicht von heute auf morgen klappen kann. Gesundwerden ist ein Prozess, der mit viel mehr Themen zu tun hat als nur mit dem Essen.
Aber jetzt erst einmal zur Wohngruppe. Vor allem am Anfang war der Alltag für mich sehr geregelt. Ich hatte feste und begleitete Essenszeiten, regelmäßige Gespräche mit den Betreuern, nach dem Abendessen eine Stunde Gruppenzeit, gemeinsames Kochen, Ernährungstherapie, Gruppentherapie, Psychotherapie usw. Das hört sich ziemlich viel an und das war es auch. Aber auch wenn es manchmal schon etwas genervt hat bei jedem Essen (und es sind sechs Mahlzeiten) anwesend zu sein, war das ein Aspekt für mich, der vor allem am Anfang, sehr hilfreich war.
Ich musste mir nicht die ganze Zeit Gedanken darum machen, wie viel, wo und wann ich esse und konnte so meinen Fokus auch auf andere Dinge richten, die nichts mit Essen zu tun haben. Die Gruppenzeit nach dem Abendessen wird entweder für Gruppentherapie, Biodanza (eine Art von Tanztherapie), Jugendbesprechung oder eine andere Gruppenaktivität genutzt. Sie hat für mich auch eine Erleichterung dargestellt, da man nach dem Essen auf andere Gedanken kommt und so lernt mit dieser Situation umzugehen. In dem Zusammenhang möchte ich vor allem Biodanza hervorheben, da es mir und der ganzen Gruppe unheimlich viel gegeben hat. Wir haben dadurch die Möglichkeit bekommen einen anderen Zugang zu unseren Gefühlen zu finden und gelernt, diese auch auszudrücken.
Ein weiterer Aspekt, der mir unglaublich geholfen hat ist, dass man nicht alleine mit seinen Sorgen und Ängsten ist. Man hat immer jemand, mit dem man reden kann, ob Betreuer oder Mitbewohner. Am Anfang hatte ich Angst, dass man sich in einer Wohngruppe, in der nur Mädchen mit Essstörung leben, negativ beeinflussen würde. Aber das war nicht so, da jeder, der hier wohnt, gesund werden will - und ich so die anderen Mädchen eher als unterstützend und ermunternd erlebt habe.Manchmal ist es das Zusammensein mit den Mädchen, das einem am meisten hilft, wenn es gerade schwierig ist.
Auch durch die zahlreichen Gespräche mit den Betreuern habe ich gelernt, mich selbst zu reflektieren und habe dadurch ein realistisches Bild von mir selbst und der Krankheit erlangt. Zudem wurde auf jeden so gut wie möglich eingegangen und somit konnte man auch individuelle Absprachen treffen. Beispielsweise durfte ich ziemlich früh meine Zwischenmahlzeiten eigenverantwortlich essen und konnte so, je nachdem wie gut es geklappt hat, immer mehr Freiheiten dazugewinnen. Im Moment kaufe ich alle Mahlzeiten selbst ein und esse ganz selbstständig.
Ich habe mich aber nicht nur bezüglich des Essens weiterentwickelt. Ich glaube, dass mir die Wohngruppe sehr viel auch für mich selbst und meine Zukunft gebracht hat. Ich bin auf jeden Fall viel selbstständiger geworden; ich verstehe mich besser mit meinen Eltern; ich kann besser meine Meinung sagen; ich kann kochen, putzen, waschen und ich habe mein Abitur geschafft.
Als Fazit kann ich sagen, dass ich vor zwei Jahren nie gedacht hätte, dass ich hier so viel erreichen kann und mich dann sogar traue für ein ganzes Jahr alleine nach Ecuador zu gehen. Ich bin zwar noch nicht hundertprozentig gesund, aber ich habe mich auf jeden Fall ein gutes Stück weiter aus der Krankheit gekämpft und kann jetzt viel besser und offener mit ihr umgehen. Ich glaube, dass ich jetzt eine realistische Chance habe, irgendwann ganz ohne die Krankheit leben zu können!